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Brandenburg trauert um Manfred Stolpe

Predigt von Bischof Dr. Christian Stäblein, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, am 21. Januar auf der Gedenkfeier des Landes Brandenburg für Manfred Stolpe

veröffentlicht am 24.01.2020


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Trauergemeinde, liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger, Sie alle, die Sie jetzt zuschauen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Familie Stolpe, liebe Enkel, Schwiegersohn, Tochter, sehr geehrte Frau Stolpe,

es kommt mir für einen Moment so vor, als sei es wie einer dieser berühmten kleinen Zettel, die Manfred Stolpe anderen zuzustecken pflegte, Hinweise auf einem kleinen Zettel, nicht weil das darauf Notierte nicht wichtig gewesen wäre, so erzählen es die Freunde und Mitarbeitenden, im Gegenteil: weil dann aus seiner Sicht etwas unbedingt zu beachten war, gerade dann diese kleine, unabweisbare Geste. Ja, die Liebe achtet das Kleine, so ist sie groß.

Und also ist es, als habe uns jemand heute einen Zettel zugeschoben, auf dem die Sätze aus dem Römerbrief notiert sind, die wir gerade gehört haben und die nun durch den Kopf gehen mögen zusammen mit den Gedanken an den Mann, von dem wir in dieser Stunde Abschied nehmen müssen. Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem, steht da. Im Moment der Trauer kein so leichter Satz, ist es doch unser erstes Gefühl, dass nun die Krankheit gesiegt hat, dass, was er so klaglos und geduldig ertragen hat, und was in den letzten Jahren und dann Monaten immer bedrängender wurde, dass das überwältigt, uns überwunden hat: die Krankheit zum Tode, der Tod selbst. Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, überwinde das Böse mit Gutem. Manfred Stolpe, der ja wirklich nicht dazu neigte, das Persönliche zur Schau zu stellen oder für zentral zu halten, er hat zusammen mit Ihnen, liebe Frau Stolpe, aus der Krankheit heraus vielen Menschen Mut gemacht, sich eben nicht vom Krebs überwinden zu lassen, ihm nicht mehr Raum zu geben als nötig. Krankheit als Teil des Lebens, aber nicht als Macht oder gar Übermacht. Wir haben noch so viel vor, so der Titel Ihres gemeinsamen Buches, von dem so viel Mut ausgeht und das so das Böse mit Gutem hinter sich lässt: mit Erinnerungen, mit Plänen und Vorhaben, mit Ihrer gemeinsamen Liebe.

Viele haben mir erzählt, wie Manfred Stolpe noch in den letzten Wochen seines Lebens immer wieder SMS-Nachrichten geschrieben hat, short messages, kurze Botschaften: Hier ein Zuspruch für den Freund, da eine Ermutigung für einen alten Weggefährten, bis zuletzt elektronische Zettel gegen Mutlosigkeit, einfach verbunden sein. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, eine gute short message in der Stunde des Abschieds, der schwer fällt von einem Mann, den wir – den so überwältigend viele – so geschätzt, geachtet, verehrt, ja geliebt haben. Da überwältigt einen die Trauer immer wieder, das soll wohl so sein. Nun, Trauer ist nichts Böses. Was wären wir, könnten wir nicht trauern. Wir wollen die Trauer nicht hinter uns lassen, zumal das Sterben, Sie haben es erzählt, auch etwas Erlösendes hatte. Gott kommt. Wir wollen die Trauer mit Erinnern gestalten, wollen sie so in den Fluss des Dankes bringen.

Erinnern wir also: der Zettel mit den Worten aus dem Römerbrief, der uns heute zugesteckt ist, mag helfen. Nicht vom Bösen überwinden lassen – die Geschichte des in Stettin geborenen, in Greifswald aufgewachsenen Hinterpommern erzählt, wie fundamental prägend das Urvertrauen, das einem Menschen eingepflanzt wird. Wir haben es gerade in der ersten Erzählung aus seinen eigenen Worten gehört: Wie entscheidend die Mutter in den Tagen und Nächten des Krieges, wie angstfrei dieser Junge, dieser Mensch dadurch, wie wenig vom Wüten der Welt überwunden. Wie sehr hat er das verkörpert, liebe Frau Stolpe, auch für Sie: nicht aus der Ruhe, nicht aus dem Vertrauen zu bringen war er. Wie stark zugleich der Auftrag aus jenen ersten Jahrzehnten, die Welt eben anders zu gestalten: mit Fürsorge, voller Menschenliebe, mit Geschick, voller Friedensliebe.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn sich etwas durchzieht durch die Erzählungen, die Manfred Stolpe entlang seiner vielen Stationen im Leben beschreiben – angefangen vom Konsistorialassessor über den Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, vom Konsistorialpräsidenten bis hin zum Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und schließlich zum Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – und dabei ist jetzt außer Acht gelassen manche weitere Station und viele weitere Ämter, Stiftungsvorstände und Aufgaben, vom Brandenburgischen Hilfsverein über Flick-Stiftung und Stiftung Garnisonkirche, vom Diakonissenhaus Berlin-Teltow-Lehnin bis zum Petersburger Dialog – aufzählen heißt heute ja sowieso nur Lücken aufzeigen, was alles ungenannt ist –, wenn sich etwas durch die Erzählungen durchzieht, ist es dieses konkrete Gestalten und Sorgen um Hilfe, konkrete Hilfe für Menschen, die sie brauchen. Ob eine Ausreisemöglichkeit, ob ein Weg aus der Haft für politische Gefangene, ob ein Ende von Schikanen, der Kirchenmann Manfred Stolpe hat dafür gesorgt, dass Freiheitsräume in einem System der Unfreiheit geschaffen und ausgeweitet wurden. Es sind die Vielen, Hunderte, ja Tausende von Menschen, die ihm dieses alle Zeit gedankt haben, gerade auch gedankt und gesagt in den Tagen der Auseinandersetzung über das Wie der Hilfe. Ein Mensch der Kirche war er, hat ihr ihren Platz bewahrt, blieb immer einer im Dienst der Kirche. Nehmt euch der Nöte an, weint mit den Weinenden, steht heute auf dem Römerbrief-Zettel. Wer helfen will, wird sich als erstes von denen in Not leiten lassen. Segnet, die euch verfolgen, steht da auch und was das manchmal in einer Diktatur heißt, wenn man Freiheit ausloten und Hilfe gestalten will, das kann jemand wie ich, der im Westen aufgewachsen ist, kaum ermessen. Aber an Manfred Stolpe vielleicht erkennen, was der Auftrag ist: Sucht Segen auch da, wo nur Fluch möglich scheint. Klingt fast nach preußischer Disziplin, Tugend, wäre ja passend für jemandem, dem Freude an dieser Toleranztradition eigen war. Hilfe, die gestaltet und so Raum schafft. Das war die Grundgeste des zum Märker Gewordenen, Bildung von neuen Ost-West-Achsen, bis in das dafür nötige Verkehrswesen. Und so Brückenbau, real und übertragen Brückenbau Ost-West und West-Ost mit Polen und Russland. Über sieben Brücken – diesen Schlager hat er sich für heute gewünscht. Manfred Stolpe hat wohl mindestens sieben mal sieben Brücken gebaut.    

Seid eines Sinnes untereinander – was uns auf Paulus kleinem, großen Zettel für heute zugesteckt ist, beschreibt eine besondere Gabe von ihm: Der „Vater des modernen Brandenburg“, ja der, der diesem Land Identität und Selbstbewusstsein zurückgegeben und dem allen ein, sein Gesicht, der war so ein Vermittler, einer, der Menschen zu einem Sinn untereinander – durchaus mit verschiedenen Stimmen, Interessen und Meinungen, selbstverständlich unbedingt – aber eben doch eines Sinnes machen konnte, nicht ausgrenzen, praktische, gelebte Humanität, eines Sinnes über das, worum es geht: für die Menschen da sein.

Was ist das Geheimnis, sehr geehrte Damen und Herren, was trägt, um sich nicht überwinden zu lassen? Da sucht man nach Aufsteigendem, nach etwas, das hoch und rüber trägt, und landet also – im Bilde – beim roten Adler. Steige hoch, kein Lied, so hat Manfred Stolpe mal gesagt, habe er so oft, so laut und meistens auch so falsch gesungen wie dieses, dafür war er wohl berühmt, für ein ebenso fröhliches wie kräftiges neben dem Ton liegen. Nicht Perfektheiten, das Herz baut die Welt. Das Lied, wir hören es ja noch, hat ihn mit den Menschen verbunden, ihre Treue seine Treue. In meiner Sprache, in der Sprache des Kirchenmannes Manfred Stolpe, ist Treue Gottvertrauen. Auch, ja gerade da, wo etwas misslingt, verfehlt, Treue gerade da, wo der Boden entgleitet. Wer in diesen Tagen lauscht, hört nicht nur Geschichten über einen großen Staatsmann, Landesvater und Kirchenpräsidenten, man hört stets auch, wie offen er mit dem umging, was schief lief. Manches Wirtschaftsprojekt oder eine seiner Zeit gewünschte Länderfusion oder auch dieses oder jenes Vorhaben. Das ist dann so und es ist ja der Moment, in dem sich zeigt, ob Demut echt ist. Haltet euch nicht selbst für klug, steht auf Paulus Zettel. Und über dem Leben eines Mannes, der ja nicht irgendwie kumpelig daher kam, sondern voller Respekt vor dem Mitmenschen, voller tiefem Wissen, dass wir auch scheitern und der also mit Fehlern anderer wirklich barmherzig war. Oder, so wie es auf dem Fontane-Zettel des Fontane-Freundes gestanden haben dürfte, damit im Scheitern Zuspruch bleibt: Am Mute hängt der Erfolg, das hat Manfred Stolpe von Fontane gerne zitiert und oft gezeigt. Am Erfolg aber hängen Demut und Gottvertrauen, Vertrauen, dass Gott längst überwunden hat für uns, dieser Gott, der in Christus ganz Mensch geworden ist. Am Gottvertrauen, dass für uns schon alles überwunden ist, das Sterben, der Tod zuerst und zuletzt überwunden durch diesen Jesus am Kreuz.

Und so erinnern wir mit Ihnen, liebe Frau Stolpe, liebe Familie, Zuwendung und Liebe, Mut und Aufmerksamkeit, Geduld und Selbstrücknahme, bis zuletzt hat er sich bei denen, die ihn pflegten, entschuldigt für die Mühe, die er machte – und dabei machte er gar keine! - wir erinnern einen Menschen mit Tiefe, ausgestattet mit Gottvertrauen aus der Höhe. Am Ende dieser Predigt also die Rede von Gott und dem Vertrauen, das er uns schenkt. Wie noch ein kleiner Zettel mit den Worten, auf die es ankommt. Denn Manfred Stolpe war gerade nicht der Mensch wortreich-plakativer Frömmigkeit, eher fromm und froh und frei in eins, vertrauend, dass das Viele dieses Lebens nicht mit dem Tod endet, vielmehr bei Gott und in seiner Nähe so viel mehr, ja alles aufgehoben ist. Damit will ich schließen. Wem das nicht genügt – es wird erzählt, Manfred Stolpe habe, als jemand zu wortreich und geradezu barock das Danken ausbreitete, er habe dann einen preußischen König zitiert, der das beendete mit: und also noch mal, dass alle es gehört haben: Danke! Danke, steht heute auf unserem Zettel an Gott, ganz groß. Danke für Manfred Stolpe. Amen.