Staatskanzlei

Wirtschaftsgala „UnternehmensGeschichte(n)“: 20 Jahre Brandenburg

Rede von Ministerpräsident Platzeck anlässlich der Wirtschaftsgala „UnternehmensGeschichte(n)“am 28. Juni 2010

veröffentlicht am 28.06.2010

Sehr geehrte Kammerpräsidenten, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Brandenburger Landesregierung, sehr geehrte Landräte und Bürgermeister, liebe Gäste aus Nah und Fern … und vor allem: sehr geehrte Unternehmerinnen und Unternehmer unseres Landes! Dieser Abend ist ein Dankeschön für Sie, die Männer und Frauen aus märkischen Betrieben. Ein Dankeschön für alles, was Sie seit 1990 mit Herz und Händen in Brandenburg geschaffen haben! Wie feiert man 20 Jahre Unternehmensgeschichte? Wen lädt man dazu ein? Nicht mal ein Fußballstadion – schönes Stichwort! – würde reichen, um alle zu versammeln, die an dieser Geschichte „mitgeschrieben“ haben. Deshalb sind wir auf die Suche nach beispielhaften einzelnen Geschichten gegangen. Die Handwerks- und die Industrie- und Handelskammern haben uns geholfen, solche Beispiele zu finden und diesen Abend auszurichten. Sieben Unternehmen stehen heute stellvertretend für die ganze Vielfalt der Brandenburger Wirtschaft. Und stellvertretend für eine Entwicklung, die im Sommer 1990 mit einem rasanten Aufbruch und Umbruch begann. Wissen Sie noch, was Sie vor genau 20 Jahren – am 28. Juni 1990 – getan und gedacht haben? Damals stand Brandenburg – besser gesagt: standen die drei Bezirke Frankfurt(Oder), Potsdam und Cottbus – vor einem Neubeginn, der wenige Monate zuvor noch unvorstellbar schien: von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, vom Leichtmetall der DDR-Münzen zur international schwergewichtigen D-Mark! Die Wirtschafts- und Währungsunion des 1. Juli wurde – wenn man es mal auf der Zeitachse sieht – zu einer Art Bergfest der Deutschen Wiedervereinigung: Dieser Sommertag lag ja etwa mittig zwischen dem Mauerfall am 9. November 1989 und den Einheitsfeiern am 3. Oktober 1990. Vielleicht ging es Ihnen ähnlich: Für mich jedenfalls waren diese Monate die intensivsten meines Lebens. Vom Ingenieur und Umweltaktivisten war ich plötzlich zum Mitglied der ersten frei gewählten – und bekanntlich letzten – Volkskammer der DDR geworden. Wir rangen damals um eine neue Verfassung und rangen manchmal auch mit uns selbst bei der Frage, ob und wie Ostdeutschland diesen Neubeginn schaffen würde. Euphorie und Entsetzen wechselten quasi stündlich, denn erst 1990 wurde so richtig klar, wie sehr die DDR nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch „abgewirtschaftet“ war. Außerdem ahnten wir langsam, wie schwer es sein würde, das Erhaltenswerte – und davon gab es nicht wenig! – in das neue System zu retten. Wer 1990 in Verantwortung war – egal ob in einer politischen Funktion oder einem der volkseigenen Betriebe – musste einen schwierigen Balanceakt bewältigen: einerseits den Tatsachen ins Auge sehen und sie klar benennen, andererseits den Menschen nicht den Mut nehmen. Die Bevölkerung sah ja am Vorabend des 1. Juli vor allem die Verheißungen: Traumautos und Traumurlaube! Meine Töchter freu-ten sich unbändig auf bunte Joghurtbecher und Überraschungseier in den Einkaufsregalen. In den Sitzungen der Volkskammer dagegen kamen immer öfter Worte wie „Abwicklung“ und „Massenentlassung“ vor. Es war eine Zeit großer Anspannung – und es war die Zeit der Männer und Frauen der ersten Stunde! Einige von ihnen sitzen heute hier im Publikum. Sie waren damals nicht nur mutig, sondern auch schon märkisch-patriotisch, ehe das Land Brandenburg formal überhaupt wiedergegründet war. Ich denke da zum Beispiel an die Pioniere der Handwerkskammer Potsdam, die bereits im März 1990 die Selbstverwaltung im Handwerk wiederbelebten und den Auftakt für eine ganze Reihe von Neugründungen und Umstrukturierungen der „Brandenburger“ Kammern gab. Das war einer der ersten und wichtigsten Schritte bei unserer wirtschaftlichen Neusortierung, denn der Bedarf an Information und Unterstützung während der Wirtschafts- und Währungsunion war riesig! Nehmen wir nur mal – weil ich es schon erwähnt habe – das Handwerk: Zu DDR-Zeiten gehörten Handwerker ja zu den begehrtesten Menschen überhaupt. An Kunden oder Aufträgen mangelte es nie, dafür umso mehr an Baustoffen und Werkzeugen – ab Mitte der 80er Jahre quasi an jeder zweiten Schraubensorte. Die positive Konsequenz des 1. Juli 1990: Über Nacht wurden Materialien und Maschinen verfügbar, deren Namen man kurz zuvor nicht einmal kannte. Alles so bunt, so schön! Fakt war allerdings auch: Gestandene Kfz-Meister mussten plötzlich statt Trabis und Wartburgs diverse Gebrauchtwagen „aus dem Westen“ reparieren und vieles neu lernen. Die Friseurinnen hatten eine Riesenauswahl an Farben und Spülungen, konnten ihren Kundinnen anfangs aber auch nicht mehr darüber sagen, als in der Packungsbeilage zu lesen war. Fast alles war neu! Im Kleinen wie im Großen, im Handwerk wie auch in Industrie, Handel und Landwirtschaft: neue Gesetzesgrundlagen, neue Steuermodelle, neue Mieten, Strom- und Wasserpreise. Die Kammern haben ihre Mitglieder damals in ungezählten Stunden informiert und beraten, ermuntert und oft im wahrsten Sinne des Wortes „aufgebaut“. Nur ein Novum konnten sie den Betrieben nicht abnehmen: den harten Wettbewerb um Kunden und Aufträge! Mancher war vor 1990 nie in der Verlegenheit gewesen, über einen Flyer oder eine Zeitungsanzeige nachzudenken. All das mussten die Unternehmerinnen und Unternehmer jetzt zusätzlich zur eigentlichen Arbeit bewältigen. Wenn ich im Rückblick „Unternehmerinnen und Unternehmer“ sage, dann mit den gleichen gedach-ten Anführungszeichen wie beim Land „Brandenburg“. Denn beide hatten 1990 noch nicht das Selbstbild und das Selbstbewusstsein von heute – wie auch? Der Rote Adler und die Märkische Heide waren vor 20 Jahren im kollektiven Sprachschatz genauso wenig präsent wie die Begriffe „Risikokapi-tal“ oder „Konjunkturpaket“. Die Brandenburger Wirtschaft hat seit 1990 unglaublich viel gelernt, gewagt und auch gewonnen! Wir werden heute Abend Unternehmen und Menschen vorstellen, deren Geschichten diesen Wan-del greifbar machen: • Wir werden hören, dass man mit kleinen Brötchen, wenn sie gut gebacken sind, große Erfolge feiern kann. [Dahlewitzer Landbäckerei] • Wir werden sehen, was aus drei Männern geworden ist, die 1990 als Studienfreunde ein Technologieunternehmen gegründet haben und heute ihre Produkte von Cottbus in 25 Länder exportieren. [SoftwareTechnologieGlas GmbH] • Wir werden nachfragen, wie 1990 die Reprivatisierung eines Familienunternehmens gelingen konnte und danach eine Expansion bis nach China. [Huch Behälterbau] • Wir werden verraten, was Klebebänder aus Brandenburg mit BMW-Antennen und roten Teppichen zu tun haben. [Scharnau GmbH] • Wir werden auf dieser Bühne einen Mann treffen, der nicht nur in der Uckermark für „prima Klima“ sorgt. [Adolf Siebeneicher KG] • Wir werden in Erfahrung bringen, wie Brandenburgerinnen und Brandenburger die dicksten Fische an Land ziehen… [Fischerei Köllnitz] • … und warum sie nicht nur für Menüs von Aal bis Zander, sondern allgemein im Leben „viel Biss“ haben. [Zahntechnikerin Christine Glaser] Die Auswahl ist der Jury nicht leicht gefallen, deshalb möchte ich ganz deutlich sagen: Viele andere Unternehmen hätten heute mit genauso guten Begründungen in unser Programm gepasst. Egal, ob es sich um den breiten Mittelstand oder große Industrieunternehmen handelt: alle sollen heute Abend gewürdigt werden. Das reicht vom Schuster „um die Ecke“, der seit Jahren im Kietz für flotte Sohlen sorgt, bis zum Global Player Rolls-Royce, der gerade in Dahlewitz ein neues Textzentrum eröffnet hat. Ob die kleinen lokal verankerten Betriebe oder unsere international anerkannten Flaggschiffe: wir brauchen sie alle! Die Mischung macht uns stark! Die wichtigste Botschaft heute ist des-halb eine gemeinsame: Die Brandenburger Wirtschaft, Unternehmer und Arbeitnehmer, haben es in zwei Jahrzehnten geschafft, ein solides Fundament aufzubauen und dieses Land spürbar nach vorn zu bringen! Das ist nicht nur ein neues Lebensgefühl, sondern lässt sich auch an Statistiken ablesen: Im Mai 2010 lag die Arbeitslosigkeit in Brandenburg bei 11,1 Prozent – weniger als in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin! Brandenburg ist also keinesfalls Schlusslicht. Vor fünf Jahren waren es bei uns noch 20 Prozent. Und 1990 glaubten nicht wenige, dass ganz Ostdeutschland eine Region der Sozialhilfeempfänger werden würde. Von diesem Mantra der mangelnden Perspektiven haben wir uns in Brandenburg befreit! Mental und durch ganz konkrete Fakten. Heute haben wir Perspektiven! Ein Beispiel: Brandenburg liegt seit 2008 bundes-weit an der Spitze bei den Erneuerbaren Energien. Wir gehören europaweit zu den Technologieführern bei CCS und wir kämpfen weiter darum, uns in der Zukunftsbranche Energiewirtschaft zu behaupten. Das ist nicht immer leicht und bequem, manchmal sogar wie bei Don Quijote und seinen Windmühlen. Aber die Brandenburger Wirtschaft ist zäh und ausdauernd! Dass sich diese Ausdauer lohnt, zeigen Entwicklungen, wie wir sie in der Luft- und Raumfahrtbranche in den letzten Jahren erleben konnten. Ganz ehrlich: Davon habe ich – bei allem Optimismus – bei meinem Amtsantritt als Ministerpräsident nicht zu träumen gewagt! „Made in Brandenburg“ fliegt heute um die ganze Welt und in Satellitenform sogar bis ins All. Große Namen wie MTU schmücken das Brandenburger Branchenverzeichnis. Und ein Event wie die ILA mit weltweiter Ausstrahlung hat in Brandenburg einen anerkannten Standort! Noch eine andere Abkürzung zeigt, dass wir zu Wachstum und Wandel fähig sind: die IBA – die Internationale Bauausstellung in der Lausitz. Dort entsteht aus einer Mondlandschaft, ehemals Berg-baugebiet, ein Seenparadies. Als ich neulich vor Ort war, dachte ich nur: Solche Veränderungen lagen 1990 wirklich jenseits unserer Vorstellungskraft. Wenn man heute durch Brandenburg fährt und sieht, wie sauber unsere Seen und Flüsse sind, wie schön und wertvoll große Gebiete wie der Deutsch-Polnische Nationalpark an der Oder – dann spürt man: Brandenburg hat gelernt, erfolgreich und nachhaltig zu wirtschaften! Die Menschen honorieren das: 95 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger sagen bei Umfragen, dass sie gern in ihrem Land leben und sich hier wohl fühlen. Viele sehen Brandenburg auf einem guten Weg – selbst nach einem Jahr der globalen Wirtschaftskrise. Vor Kurzem hatte ich den Konjunkturbericht Ostbrandenburg für Frühsommer 2010 in der Hand: Da lag die Stimmung sogar deut-lich oberhalb des Durchschnitts der letzten Jahre! Sie merken es: Solche Fakten machen mich froh – und auch dankbar. Dass wir die Geburtstagsfeiern für „20 Jahre Brandenburg“ so zuversichtlich angehen können, ist das Ergebnis von zwei Jahrzehnten harter Arbeit. Ihrer Arbeit, sehr geehrte Kammerpräsidenten, Unternehmerinnen und Unternehmer! Es heißt immer so schön: Die Politik setzt Rahmenbedingungen. Das wollen wir auch weiterhin im Sinne einer erfolgreichen Brandenburger Wirtschaft tun. Deshalb kümmern wir uns um aktuelle Fragen wie den demografischen Wandel und die Fachkräftesicherung. Aber ob in diesem Rahmen, den wir abstecken, ein schönes buntes Bild mit kräftigen Farben entsteht, das liegt an Ihnen! Es werden weiterhin die Betriebe sein, die entscheiden, • ob und wo sie investieren, • ob und wen sie ausbilden • und wie sehr sie sich dem Land Brandenburg verbunden fühlen – auch jenseits von Auftragsbüchern und Bilanzen. Wenn ich an die motivierenden Beispiele der Vergangenheit denke, die wir heute Abend noch hören werden, dann spreche ich wohl im Namen vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger, wenn ich sage: Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam weiter gehen! Lassen Sie uns aus vielen einzelnen Geschichten ein weiteres Kapitel gute Brandenburger Unternehmensgeschichte schreiben! Danke sehr.