Staatskanzlei

Festakt anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“

Es gilt das gesprochene Wort

veröffentlicht am 24.06.2008

Anrede, 1998 verabschiedete die Landesregierung ihr Handlungskonzept gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mit dem programmatischen Titel „Tole-rantes Brandenburg“. Dies geschah in einer Situation, die vom Verfassungsschutz lapidar mit den Worten beschrieben wurde: „Das Potenzial gewaltbereiter Rechtsextremisten, die sich großen-teils in gewaltbejahenden Jugendcliquen zusammenfinden, ist konstant geblieben.“ Mit ihrem neuen Handlungskonzept erklärte die Landesregierung ihre klare und ein-deutige Absage an jede Form von Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Die Verfassung unseres Landes beruht auf den Traditionen von Recht, Toleranz und Soli-darität in der Mark Brandenburg. In diesem Geist stellte die Landesregierung nicht nur die Ahndung, sondern die Ver-hinderung von Taten mit rechtsextremem und fremdenfeindlichem Hintergrund in den Mittelpunkt ihres Handelns. Zugleich forderte sie die Bürgerinnen und Bürger auf, sich dabei als aktive Partner zu verstehen. Mit der Aktualisierung des Handlungskonzeptes im Jahr 2005 wurde ein stärkerer und vor allem: positiver Akzent gesetzt: Das Handlungskonzept ist nun ausdrücklich nicht nur gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ausgerichtet – sondern es steht als Leitbild der Landesregierung für eine starke und lebendige Demokratie. Brandenburg war das erste Bundesland, das sich offen bekannte: Ja, das Problem des Rechtsextremismus existiert bei uns! Und nein, wir sind nicht bereit, uns damit abzufin-den. Dieses Bekenntnis war die Voraussetzung für die Politik der klaren Zeichen und des konsequenten Vorgehens, die wir seitdem betrieben haben. Alle Probleme sind damit nicht behoben, gewiss nicht. Aber inzwischen gilt unser Land als beispielgebend. So haben Bundesprogramme Initiativen aus Brandenburg aufge-nommen. Auch andere Länder haben sich mittlerweile den Ansatz des Toleranten Brandenburg zum Vorbild genommen. Die Anwesenheit unseres damaligen Bundespräsident Richard von Weizsäcker anläss-lich der Auftaktveranstaltung des Handlungskonzeptes 1998 hat uns seinerzeit sehr ermutigt. Heute freuen wir uns sehr, dass Sie, Herr Bundespräsident Köhler, hier sind. Ihre Anwesenheit bestärkt uns in unserem Vorgehen. Wir wissen uns mit Ihnen einig: „Wir müssen die politische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Antisemiten suchen, und wir müssen sie offensiv führen und wir werden das auch tun.“ So haben Sie es formuliert in Ihrer Rede vor der Knesset in Jerusalem im Februar 2005. Brutale Angriffe, offene Ausgrenzung von Menschen aus anderen Ländern, von anders Aussehenden oder anders Denkenden - das alles ließ und lässt sich nicht unter der Rubrik „Isolierte Einzelfälle“ verbuchen. Diese Taten und Einstellungen verweisen auf ein gesellschaftliches Phänomen, dem wir uns in Brandenburg in den vergangenen Jahren intensiv gestellt haben, mit dem wir uns aber auch weiterhin nachdrücklich befassen müssen: Es ist die in der Bevölkerung viel zu weit verbreitete schweigende Zustimmung zu fremdenfeindlicher Gewalt. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land ist aufgeschlossen und tolerant. Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass eine nennenswerte Minderheit der Bürgerinnen und Bürger mit rechten Straftätern und ihrem Gedankengut sympathisiert. Wissenschaftlichen Forschungen zufolge bekennt sich etwa jeder sechste Deutsche zu rassistischen und antisemitischen Vorurteilen. Viele fühlen sich sozial benachteiligt und sehen Fremde als vermeintliche Konkurrenten und Empfänger ungerechtfertigter sozialer Leistungen. Durch ihr Denken und Handeln, durch die fremdenfeindlichen Überzeugungen, die sie an ihre Kinder weitergeben, tragen diese Gruppen dazu bei, den geistigen Nährboden für Rassismus und Antisemitismus, Intoleranz und Gewalt zu bereiten. Nur wenn es gelingt, ein Umdenken zu erreichen, werden wir in Deutschland durchschlagende Erfolge im Kampf gegen den Rechtsextremismus erreichen. Genau hier setzt das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg an. Ein weiterer Aspekt hat an Bedeutung gewonnen: Die moderne Gesellschaft wird zu-nehmend geprägt durch internationalisierte Wirtschaftsbeziehungen sowie die ständi-ge Zunahme der Bedeutung von Lernen, Bildung und Wissen. Diese Faktoren kenn-zeichnen das Wirtschaftleben in Deutschland. Wir können deshalb auch in Brandenburg wirtschaftlich dauerhaft nur dann erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt nutzen – und ausdrücklich nutzen wollen . Toleranz und eine Kultur des gleichberechtigten Miteinanders sind dafür unerlässlich. Erst kulturelle Offenheit und ein umfassendes Klima der Toleranz ermöglichen es, im Wettbewerb der Regionen zu bestehen. Wir müssen deshalb noch viel deutlicher ma-chen, dass Toleranz nicht nur ein Gebot von Anstand und Ethik ist – das ganz gewiss auch und sogar zu allererst. Aber: Toleranz ist heute zugleich eine ganz entscheidende Bedingung für Wachstum, gute Arbeitsplätze und die allgemeine Attraktivität einer Region. Die Rechnung ist ein-fach: Ohne Toleranz gibt es keine Vielfalt; ohne Vielfalt gedeihen keine Ideen, ohne Ideen mangelt es an der Fähigkeit zur Innovation – und die wiederum ist die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Dass in Brandenburg eine umfassende „Kultur der Toleranz“ heranwächst, ist darum die grundlegende Bedingung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Uns war 1998 klar, dass keine schnellen Erfolge zu erwarten sein würden. Der Abbau der latenten, gewaltbegünstigenden Fremdenfeindlichkeit würde ein langwieriger Pro-zess werden. Es bedurfte also eines langen Atems. Und immer wieder fühlten wir uns zurückgewor-fen durch verabscheuungswürdige Vorfälle. Heute aber können wir zuversichtlich fest-stellen: Mehr und mehr Menschen und Initiativen setzen sich deutlich für Weltoffenheit und Toleranz ein. Verständnis und Toleranz, Zivilcourage und Offenheit sind keine Fremdworte mehr. Die Zeiten, in denen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit viel zu oft verdrängt und verharmlost wurden, sind weitgehend überwunden. Kurz: Es gibt immer weniger Toleranz für die Intoleranten. Das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg hat, zusammen mit der mutigen und entschlossenen Arbeit vieler Kommunen, Vereine und Verbände das Bild unseres Lan-des sehr verbessert. Es haben sich viele Bündnispartner in allen möglichen gesell-schaftlich relevanten Handlungsfeldern gefunden. Zahlreiche Kooperationsvereinba-rungen wurden abgeschlossen mit dem Ziel, Rechtsextremismus und Fremdenfeind-lichkeit zurückzudrängen und für eine lebendige demokratische Kultur einzutreten. Erst vor wenigen Tagen haben Bildungsminister Holger Rupprecht und Dr. Wolfgang Huber, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, eine weitere Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Die Kirche möchte damit ihr anhaltendes Engagement für eine offene Gesellschaft mit menschlichem Antlitz noch-mals deutlich untermauern. Es ist wichtig und richtig, dass sich möglichst viele gesellschaftliche Einrichtungen in diesem Konsens zusammenfinden und dies durch Vereinbarungen bekräftigen, wie dies bereits Tourismus- und Jugendverbände, Gewerkschaften, Sport- und Wohlfahrts-verbände getan haben. Etliche von denen, die sich in ihren Organisationen dafür stark gemacht haben, sind heute hier unter den Gästen. Ihnen danke ich – stellvertretend viele weitere Engagierte – ganz herzlich!. Gemeinsam haben wir einen deutlichen gesellschaftlichen Klimawandel erreicht. In den vergangenen Jahren haben die Menschen in Brandenburg an vielen Orten erfolgreich bewiesen, dass sie rechtsextremistische Erscheinungen nicht einfach hinnehmen. Es zeigt sich erfreulicherweise immer mehr, dass Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wegsehen, sondern handeln; dass sie sich mit den Opfern von Gewalt und Fremden-hass solidarisieren; dass sie sich gegen die Aktionen von Rechtsextremen wehren. In vielen Städten haben sich lokale Aktionsbündnisse zusammengefunden, deren Name in der Regel ihr Programm beschreibt: Ich nenne als Beispiele „Rathenow schaut nicht weg – Rathenow zeigt Flagge!“, den „Cottbuser Aufbruch“, die „Nordbahngemeinden mit Courage“, das „Netzwerk Toleran-tes Eberswalde“ oder die Fürstenwalder „Plattform gegen Rechts“. Meistens war es ein konkreter Auslöser, der die Aktiven zusammengebracht hat: Ein fremdenfeindlicher Überfall; eine Versammlung Rechtsextremer; oder ihr Versuch eine Immobilie für ein so genanntes Schulungszentrum zu erwerben wie zuletzt in Biesen-thal. Dies alles zeigt: An vielen Orten schlägt den Rechtsextremen immer mehr friedlicher Protest entgegen. Sich zu den Werten unserer offenen Gesellschaft zu bekennen und diese aktiv zu leben – dieses Bewusstsein ist in Brandenburg angekommen. [Danksagungen] Der zehnte Jahrestag des Handlungskonzeptes bietet eine gute Gelegenheit, jenen Dank zu sagen, die sich mit der Landesregierung für eine Gesellschaft ohne Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Sie werden verstehen: Von den vielen, die es verdient haben, erwähnt zu werden, kann ich an dieser Stelle nur einige wenige hervorheben. Dr. Manfred Stolpe ist einer von ihnen. Er wollte – wie er später selbst offen zugab – zunächst auch nicht wahrhaben, dass in Brandenburg ein Problem mit dem Rechtsex-tremismus existierte. Er hat dann eine sehr klare Position bezogen, hat die gesamte Landesregierung auf das Handlungskonzept eingeschworen. Die Gründung des Aktions-bündnisses und die Verabschiedung des Toleranten Brandenburgs folgten. Langjährige Ausländerbeauftragte der Landesregierung war Almuth Berger: Als Anwältin der Menschen mit Migrationshintergrund lud sie 1996 zu einen Runden Tisch ein; hier ist der Ursprung des Aktionsbündnisses zu finden. Das Aktionsbündnis mit seinen vier Vorsitzenden Leopold Esselbach, Dr. Rolf Wischnath, Heinz-Joachim Lohmann und seit Anfang dieses Jahres Frau Heilgard Asmus hat seit 1997 Menschen und Organisationen, zum Eintreten gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gewonnen, die sonst so nie zusammenge-kommen wären: Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitgeber, Flüchtlingsrat, den Städte– und Gemeindebund und viele mehr. Die Mobilen Beratungsteams bietenflächendeckend im Land Beratung und Hilfe an; sie stärken die kommunale Präventionsarbeit und unterstützen die lokalen Bündnisse. Bis vor wenigen Wochen hat Wolfram Hülsemann als langjähriger Geschäftsführer mit seinem Team Aufbau- und Beratungsarbeit geleistet. Nun führt Dirk Wilking diese wichti-ge Arbeit fort. Dominique John vertritt den Verein Opferperspektive, der sich die Aufgabe gestellt hat, die Opfer rechtsextremer Gewalt nicht allein zu lassen und ihnen engagiert professionelle Beratung und Unterstützung zukommen lässt. Alfred Roos ist der Geschäftsführer der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule, die helfen, eine demokratische und interkulturelle Schulkultur zu etablieren. Ein besonderes Zeichen setzt dabei das Programm „Schule ohne Rassis-mus – Schule mit Courage“, ein wichtiger Bestandteil des Handlungskonzepts. Bereits 32 Brandenburger Schulen ist dieser Titel bisher verliehen worden. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Verfassungsschutz sowie den Polizistinnen und Polizisten Brandenburgs, die mit ihrem ganz persönlichen Einsatz zur inneren Sicherheit im Land beitragen. Dafür, dass sie sich dieser Aufgabe stellen und der Verfassung zu ihrem Recht verhelfen, gebühren ihnen unsere Anerkennung und unser Dank. Ich weiß: Gerade unsere Polizistinnen und Polizisten leisten bei der Umsetzung des Handlungskonzeptes ganze Arbeit und stehen hinter den Zielen der Landesregierung. Ich danke auch den Bürgermeisterinnen und Bürgermeister , die mutig die Probleme beim Namen nennen und ihre Bürgerschaft dafür gewinnen, gemeinsam Fremdenfeind-lichkeit und rechtes Gedankengut zu bekämpfen. Stellvertretend für viele sei namentlich der Rheinsberger Bürgermeister Manfred Richter genannt. Dank gilt auch den Brandenburger Unternehmen, die eine Unternehmenskultur pflegen, in der Intoleranz keinen Platz hat. Pars pro toto sei EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt her-vorgehoben. Die Unternehmensführung hat sich bereits sehr früh gegen rechtsextremis-tische Umtriebe engagiert, und auch die neuen Firmeninhaber tun das nach wie vor. Ich wünsche mir, dass noch mehr Unternehmen Flagge zeigen und aktiv werden. Ausdrücklich begrüße ich deshalb, dass auf dem für September angesetzten Wirt-schaftsgipfel auf Einladung des Wirtschaftsministers die Kammern, Wirtschaftverbände, Gewerkschaften und Unternehmen die Bedeutung der Toleranz für unseren Wirtschaft-standort und ihren Beitrag dazu erörtern wollen. Gemeinsam sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Das Eintreten für ein tolerantes Brandenburg und das ebenso konsequente Handeln gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben Wirkung gezeigt. Für Überschwänglichkeiten ist trotz-dem kein Raum. Ausruhen dürfen wir uns nicht. Lassen wir nach in unserem Einsatz für die Toleranz, dann fügen wir Brandenburg und allen Menschen, die hier leben Schaden zu. Und genau darum lassen wir nicht nach! Auch das ist ein Signal, das vom heutigen Tag ausgeht. Das Bemühen muss weiterge-hen, denn an vielen Orten hat die Intoleranz nur ihr Gesicht und ihre Strategie geän-dert. Seien Sie ganz sicher: Die Landesregierung wird ihre Anstrengungen mit aller Kraft fortsetzen. Das Handlungskonzept gibt dabei auch in Zukunft die Richtung vor. Ich wünsche dem Land Brandenburg, ich wünsche uns Kraft, Mut und Ausdauer, an diesem Ziel weiterzuarbeiten. Möge Ihr Engagement, meine Damen und Herren, bei-spielgebend sein für jene, die noch zaudern. Es liegt in der Hand jedes und jeder Ein-zelnen von uns, der Intoleranz in allen ihren Spielarten entgegenzutreten. Die Verantwortung für Brandenburgs Zukunft als offenes und tolerantes Gemeinwesen tragen wir alle gemeinsam. Nehmen wir diese Verantwortung auch weiterhin wahr – mit Entschlossenheit mit Umsicht und vor allem: mit sehr viel Zuversicht. Denn an einem habe ich nicht den geringsten Zweifel: Am Ende siegt das Miteinander, am Ende siegt die Toleranz!