Staatskanzlei

Verleihung des Kunstpreises des Brandenburgischen Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk an Professor Bernhard Heisig

Rede von Ministerpräsident Matthias Platzeck
zur Verleihung des Kunstpreises des Brandenburgischen Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk an Professor Bernhard Heisig, Strodehne (Havelland),gehalten am 4. Juli 2010 in Neuhardenberg im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Märkischen Oderzeitung und der Stiftung Schloss Neuhardenberg

veröffentlicht am 04.07.2010

„Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Dieser Satz von Paul Klee passt wunderbar zur Ausstellung, die wir heute dank der Märkischen Oderzeitung und der Stiftung Schloss Neuhardenberg eröffnen. Und er passt zum Werk des Mannes, der heute den Ehrenpreis für sein Le-benswerk erhalten wird: Lieber Herr Professor Bernhard Heisig! In 85 Jahren Lebenszeit haben Sie viele Titel – nicht nur den akademischen – erhalten: Sie waren Mentor, Rektor, Verbandsvorsitzender. Oder in Kategorien der Kunst ausgedrückt: Altmeister, Epochenmaler, Realist und Expressionist, ein Mann der feinen Linien und immer auch ein Mann der vielen Symbole. In älteren Lexika der Malerei wird Ihr Stil in der Tradition von Max Beckmann und Oskar Kokoschka gesehen. In der Mitte Ihres Lebens prägten Sie gemeinsam mit Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke die berühmte „Leipziger Schule“. Heute im Jahr 2010 steht Ihr Name und das dazugehörige Werk für sich. Sie haben etwas geschaffen, das weit über den Tag hinaus wirkt. Sie haben, lieber Professor Heisig, ein Stück Kunstgeschichte geschrieben. Geschichtsschreibung ist bekanntlich nie eindeutig, nie unstrittig – in der Kunst schon gar nicht. Wo gestern noch Schatten war, kann heute Licht sein – und das geht manchmal schnell. Was man einst schwarz-weiß sah, wird mit der Zeit bunt. Und umgekehrt führen die glanzvollen Verlockungen der Jugend manchmal zu den schwärzesten Bildern im Gedächtnis und auf dem Papier. Biografien lassen sich nicht korrigieren, aber kommentieren. Letzteres ist Ihnen, lieber Herr Heisig, auf eindrucksvolle Weise gelungen. Sie haben sich den Brüchen Ihrer Biografie immer gestellt – kunstvoll und selbstkritisch. Dass Sie als 17-Jähriger freiwillig den Kriegsdienst in der Waffen-SS wählten, kann man in vielen Büchern nachlesen. Dass Sie 1945 als Invalide aus russischer Gefangenschaft entlassen wurden, auch. Vom NS-Staat zum Täter erzogen, vom Schicksal zum Opfer gemacht: Sie haben in den Kriegsjahren am eigenen Leib erfahren, dass sich Täter-Opfer-Strukturen selten in Schwarz und Weiß darstellen lassen. Was 1942 bis 1945 in Ihrer und mit Ihrer Seele passiert sein muss, dass lesen wir in Ihren Zeichnungen und Gemälden – allesamt Dokumente einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit sich selbst. Ob das brennende Breslau, Ihre Heimatstadt, ob der ausgepeitschte Häftling in Ihren „Alpträumen des Faschismus“ oder der abstürzende Ikarus und der in immer neuen Variationen: Man braucht keinen Fachmann und keinen Fachkommentar, um zu sehen: Hier stellt sich ein Einzelner seiner Vergangenheit und fordert uns alle auf, nicht zu verdrängen, sondern daran zu erinnern, was Menschen einander antun können. Solche Bilder, meine Damen und Herren, wirken verstörend. Denn sie zeigen nicht nur Plätze und Personen. Sie zeigen Gefühle wie Angst, Wut, Trauer und Verzweiflung. Bernhard Heisig hat das einmal „Folter der Erinnerung“ genannt. So hart diese Überschrift auch klingt: Geborene Täter oder Opfer gibt es in diesen Bildern nicht. Bern-hard Heisig hat das oft in seinen Vorträgen und Texten betont. Für ihn ist es der „normale“ Mensch, der sich unter dramatischen Umständen dramatisch verändert, der Schrecken verbreitet oder Schrecken erdulden muss. Eine feste Grenze zwischen Tätern und Opfern existiert für Bernhard Heisig nicht, wohl aber eine Realität jenseits dieser beiden Begriffe. Es geht Ihnen, Professor Heisig, nicht darum, Biografien zu richten, sondern darum, sie zu verstehen. Schon in den 60er Jahren ist Ihnen damit ein gesellschaftlicher Denkanstoß gelungen. Wer Ihre Bilder zu Krieg und Unterdrückung heute anschaut, wird spüren, dass sie an Kraft nichts ver-loren haben. Die Botschaften sind immer noch aktuell, teilweise hoch aktuell. Ihre Bilder sind Spiegel einer bestimmten Zeit und dennoch zeitlos in ihrer Aussage. Diese besondere Ausdruckskraft wusste man auch in der DDR zu schätzen. Nach gefeierten Ausstel-lungen und Buch-Illustrationen wurden Sie, Herr Heisig, zum Rektor der Kunsthochschule Leipzig er-nannt. Sie blieben es aber zunächst nur drei Jahre. Sie haben sich – obwohl seit 1947 SED-Mitglied – öffentlich gegen die Kulturpolitik der Partei, gegen den „Bitterfelder Weg“, vor allem aber gegen staatliche Dogmen zu jedem Pinselstrich gewandt. Sie verloren deshalb Ihren Rektorenposten und zogen sich bald auch als Lehrkraft zurück. Eines aber gaben Sie nie auf: Die Malerei und Ihren Anspruch, dass es „die eine Wahrheit“ – sei es in der sozialis-tischen Kunst oder anderswo – nicht geben kann. Wer so denkt, ist auch in einer Diktatur künstlerisch ungebunden – und immer für Machthaber problematisch! Anfang der 70er Jahre besann sich der Staatsapparat. Preise und Funktionen auf den Namen Heisig häuften sich. Sie durften die DDR bei der „documenta 6“ in Kassel vertreten und portraitierten später sogar Helmut Schmidt. Nicht nur mit Blick auf deutsch-deutsche Grenzen wurden Sie zum Wanderer zwischen den Welten. Wer Ihren bewegten Lebenslauf mal in Ruhe liest, wird feststellen: Sie blieben sich selbst treu, aber kaum einer anderen Vorgabe. Oft nicht mal Ihren eigenen Bildunterschriften! Viele Ihrer Bilder haben Sie selbst übermalt, mitunter fast neu gemalt, im Abstand von Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren. 1989 traten Sie aus der SED aus, gaben Ihre Ämter auf und Ihre beiden Nationalpreise zurück. Die Zeit des Wanderns war damit aber nicht zu Ende. Die des Polarisierens – auch eine Ihrer Eigenschaften - auch nicht. Einige hier im Saal erinnern sich bestimmt noch an die Diskussion von 1997: Darf ein „Heisig“ in der Caféteria des Bundestags hängen? Ja, er darf und – um mit Klaus Wowereit zu sprechen: Das ist auch gut so… Das Panoramabild „Zeit und Leben“ – ein historischer Reigen von Bismarck bis zu den Puh-dys – war ein künstlerischer Gewinn für das hohe Haus und eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Anerkennung vieler DDR-Künstlerbiografien. Sie, verehrter Bernhard Heisig, haben um eben diese Anerkennung immer wieder gekämpft und damit eine gesellschaftliche Debatte angestoßen. Als 2009 in der Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke“ die DDR-Malerei – ganz vorsichtig formuliert - zu kurz kam, äußerten Sie das nicht nur im beschaulichen Havel-land, zuhause in Strohdehne, sondern auch im lauten Berlin. Unüberhörbar. Auch mit 85 Jahren sind Sie noch aktiver Fürsprecher eines ostdeutschen Selbstbewusstseins und einer Lebenshaltung, die ich „Bereitschaft zur Versöhnung“ nennen würde. Sie haben andere Worte dafür gefunden. Unter anderem den Satz: „Korrekturen müssen möglich sein“, das haben Sie oft gesagt und damit Ihre gemalten Bilder genauso gemeint wie die Bilder, die wir uns in der Gesellschaft voneinander machen. Lieber Professor Heisig, so wie ich Ihr Werk verstehe, stellen Sie jenseits aller Grenzen vor allem eines dar: den Kampf um Würde und Menschlichkeit, Freiheit und Selbstbestimmung. Sie haben dafür eindringliche und unvergessliche Bilder geschaffen. Bilder, die ohne Worte auskom-men, und doch viele wichtige Diskussionen ausgelöst haben. Und Sie werden nicht müde, uns immer wieder neuen Stoff zu liefern. Sie setzen sich weiterhin jeden Tag vor die Leinwand. Zurzeit gern mal für ein Portrait. Ob Fontane oder Stauffenberg: sie zeigen uns, was das Wesen dieser Menschen ausmachte und halten uns allen damit einen Spiegel vors Gesicht. Sie machen Vergangenheit in der Gegenwart sichtbar – im besten Klee’schen Sinne. Wenn ich Ihnen jetzt diesen Ehrenpreis für Ihr Lebenswerk überreiche, dann sage ich: Danke, sehr geehrter Herr Heisig, für viele – man beachte die Mehrzahl – ungeschminkte Wahrheiten!