Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

 

 

 

 

Az.: L 5 B 52/05  AS ER

Az.: S 59 AS 1522/05 ER

Berlin

 

 

 

 

BeschlussBeschluß

In dem Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes

 

 

E,

Berlin,

 

                                      

- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -

 

Verfahrensbevollmächtigte:

Rechtsanwältin B,

Berlin,

 

gegen

 

ARGE Jobcenter Neukölln,

Sonnenallee 282, 12057 Berlin.

 

                                      

- Antrags- und Beschwerdegegnerin -



hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg am 16. August 2005 durch die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht S a i l e r, den Richter am Landessozialgericht  H u t s c h e n r e u t h e r – v o n  E m d e n  und die Richterin am Landessozialgericht  B r a u n  ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

 

 

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 wird auf die Beschwerde der Antragstellerin aufgehoben.

 

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 1. März 2005 bis auf weiteres, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe, derzeit in Höhe von 487,68 Euro monatlich, zu gewähren.

 

 

 

 

 

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmungen unter Beiordnung von Rechtsanwältin B bewilligt.

 

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II.

 

Die am 20. August 1963 geborene Antragstellerin stammt aus Kasachstan. Dort erwarb sie im Jahre 1996 an der technischen Fachschule für Gaswirtschaft die Qualifikation einer „Technikerin – Mechanikerin“. Auf ihre Aussiedlung nach Deutschland hin war die Antragstellerin arbeitslos. Sie unterzieht sich seit dem 28. Juni 2004 einer Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin, womit sie vollzeitig (37,5 Stunden je Woche) beschäftigt ist. Die dreijährige Ausbildung erfolgt beim Institut für angewandte Gerontologie, einer staatlich anerkannten Schule in freier Trägerschaft. Die Weiterbildungskosten in Form eines Schulgeldes in Höhe von insgesamt 6.237,-- Euro werden finanziert durch einen Bildungsgutschein der  Agentur für Arbeit Berlin Süd nach § 77 Abs. 3 SGB III. Von der Agentur für Arbeit erhielt bzw. erhält die Antragstellerin keine Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts, weder Unterhaltsgeld nach § 153 SGB III a.F. noch Arbeitslosengeld nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, weil sie die Vorbeschäftigungs- bzw. Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhält die Antragstellerin ebenfalls nicht; mit Bescheid des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 8. November 2004 wurden diese abgelehnt, weil die Antragstellerin bereits das 30. Lebensjahr vollendet hat (§ 10 Abs. 3 BAföG).

 

Die Antragstellerin lebt in einem Haushalt mit ihrem Ehemann W und ihrer im März 1986 geborenen Tochter A, die in Ausbildung als Friseurin steht. Bis Ende des Jahres 2004 bezog die Familie Sozialhilfe. Im Monat September 2004 etwa betrug die vom Sozialamt Neukölln ausgezahlte Leistung an die Antragstellerin 797,69 Euro (Sozialhilfe, Mietzuschuss, Bekleidungsbeihilfe). Die Familie bewohnt eine 76,79 qm große Zweieinhalbzimmerwohnung, für die Mietkosten in Höhe von 343,05 Euro, Betriebskosten in Höhe von 173,20 Euro, sowie Heizungs- und Warmwasserkosten in Höhe von 30,57 Euro monatlich anfallen.

 

Am 13. September 2004 beantragte der Ehemann der Antragstellerin für sich und seine Ehefrau Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2005. Mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 bewilligte das JobCenter Neukölln für die aus der Antragstellerin und ihrem Ehemann bestehende Bedarfsgemeinschaft ab 1. Januar 2005 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 363,68 Euro. In die Berechnung wurde ein Gesamtbedarf in Höhe von 487,68 Euro eingestellt, die vollständig auf den Ehemann der Antragstellerin entfielen, während bei der Antragstellerin ohne jede Begründung von keinem eigenen Bedarf ausgegangen wurde. Der auf den Ehemann entfallende Bedarf wurde mit 311 Euro angesetzt zuzüglich 176,68 Euro für Unterkunft und Heizung. Hiervon wurden wiederum 124 Euro als anzurechnendes Einkommen (Kindergeld) abgesetzt, so dass sich für die Bedarfsgemeinschaft ein monatlicher Zahlbetrag von 363,68 Euro ergab.

 

Am 5. Januar 2005 erhob der Ehemann der Antragstellerin, der auch alleiniger Adressat des Bescheides vom 22. Dezember 2004 gewesen war, Widerspruch und brachte vor, für seine Ehefrau müsse Bedarf angerechnet werden, da sie kein Einkommen habe und bedürftig sei. Bei der Agentur für Arbeit habe man die Auffassung vertreten, dass seine Ehefrau Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Dieser Widerspruch ist, soweit ersichtlich, noch nicht beschieden. In einem nach Aktenlage unbeantwortet gebliebenem Schreiben des JobCenters Neukölln an die Agentur für Arbeit Berlin Süd wurde die Auffassung vertreten, dass das Arbeitslosengeld II an die Antragstellerin wegen der in § 7 Abs. 5 SGB II enthaltenen Regelung nur darlehensweise gewährt werden könne; die Agentur wurde um Mitteilung gebeten, ob § 7 Abs. 5 SGB II im Falle der Antragstellerin einschlägig sei.

 

Am 18. März 2005 hat die Antragstellerin um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Man habe ihr im JobCenter mitgeteilt, dass die Bearbeitung des Widerspruchs sechs bis zwölf Monate dauere. Sie verfüge über keine eigenen Mittel. Die vom Ehemann bezogenen Leistungen nach dem SGB II reichten nicht für beide aus. Im Rahmen ihrer Weiterbildung erhalte sie keine Vergütung. Es bedeute eine Härte im Sinne von § 7 Abs. 5 SGB II, wenn sie ihre Ausbildung abbrechen müsse, um Geld für Essen und Miete zu haben und wieder krankenversichert zu sein. Bei Aufnahme der Ausbildung sei für sie nicht erkennbar gewesen, dass ihr nach der Gesetzesänderung keine Leistungen mehr für den Lebensunterhalt zustehen sollten.  Sie sei zwischen Sozialamt, Arbeitsamt, JobCenter, BAföG-Amt und Krankenkasse hin- und hergeschickt worden. Hätte sie gewusst, dass sie ab Januar 2005 keine Leistungen zum Lebensunterhalt mehr bekomme,  hätte sie die Weiterbildung weder beginnen können noch begonnen. Es sei ab-strus, die Weiterbildung aufgeben zu müssen, von der sie erhofft habe, von Sozialleistungen unabhängig zu werden, nur um gegenwärtig Kosten für Wohnen und Essen begleichen zu können. Auch sei nicht absehbar, dass sie jemals Arbeit finde, wenn sie sich nicht qualifiziere.

 

Die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Sozialgericht die Auffassung vertreten, dass kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehe, weil die Antragstellerin eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz absolviere (§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Eine besondere Härte nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II sei weder erkennbar noch von der Antragstellerin vorgetragen oder glaubhaft vermittelt worden.

 

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 18. Mai 2005 abgelehnt und zur Begrünung im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die von der Antragstellerin wahrgenommene Weiterbildung sei eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, so dass der Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II erfüllt sei. Ob BAföG-Leistungen tatsächlich bezogen würden, sei     unerheblich. Ein besonderer Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II sei nicht erkennbar. Eine Ausbildung dürfe nicht „auf zweiter Ebene“ mit Leistungen nach dem SGB II finanziert werden, wenn das BAföG etwa wegen Überschreitens der Altersgrenze – wie im Falle der Antragstellerin – eine Förderung ausschließe. Es sei eine vom Gesetzgeber gewollte Folge, dass in Ausbildung befindliche Hilfebedürftige in der Regel gehalten seien, von der Ausbildung Abstand zu nehmen, um in den Genuss von Hilfe zum Lebensunterhalt zu kommen. Dass die Antragstellerin also gegebenenfalls gezwungen sei, die Ausbildung abzubrechen, stelle keine besondere Härte dar.

 

Hiergegen hat die Antragstellerin am 6. Juni 2005 Beschwerde erhoben. Zur Begründung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen. Es sei nicht vorstellbar, dass es dem Zweck der gesetzlichen Regelungen entspreche, wenn sie nun gezwungen sei, ihre der Integration in den Arbeitsmarkt dienende Weiterbildung abzubrechen, zumal diese von der Arbeitsverwaltung finanziert werde. Zudem falle die Weiterbildung im Sinne von § 77 SGB III nicht unter den Begriff der Ausbildung in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, was auch in der Kommentarliteratur so gesehen werde. Sie verfüge über keine eigenen Mittel für Lebensmittel und Wohnung. Auch ihre Familienangehörigen lebten nur von Leistungen nach dem SGB II und könnten sie nicht unterstützen. Sie habe bereits privat Darlehen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts aufgenommen, könne dies aber nicht fortsetzen. Schließlich werde sie ungleich behandelt, weil andere Kursteilnehmer, die zuvor Sozialhilfe bezogen hätten, nun Leistungen nach dem SGB II erhielten.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

 

Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht weiter geäußert.

 

 

II.

 

1.       Das Beschlussrubrum war dahingehend zu korrigieren, dass die ARGE Jobcenter Neukölln selbst Antragsgegnerin und nicht lediglich Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit und des Landes Berlin als Leistungsträger ist, denn sie ist als nichtrechtsfähige Personenvereinigung im Sinne des § 70 Nr. 2 SGG beteiligtenfähig. Eines Rückgriffs auf die hinter ihr stehenden Körperschaften bedarf es nicht (vgl. hierzu ausführlich Senatsbeschluss vom 11. August 2005, L 5 B 51/05 AS ER sowie Beschluss des    10. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2005, L 10 B 44/05 AS ER).

 

 

2.       Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

 

a)       Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

 

Die danach zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer jüngst ergangenen Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine     Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

 

Im Vordergrund steht dabei für den Senat nach wie vor die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), um differierende Entscheidungen im Eil- bzw. Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren – wie hier – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch  und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).

 

b)       Hieran gemessen hat die Antragstellerin für die von ihr begehrte Leistungsanordnung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.

 

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben allerdings Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Unabhängig von der Förderungsfähigkeit der von der Antragstellerin besuchten Weiterbildung nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ergibt eine Auslegung von § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, dass der Anspruchsausschluss nicht für Weiterbildungen gilt, die – wie diejenige der Antragstellerin – nach § 77 SGB III förderungsfähig sind. Das vierte Kapitel des SGB III („Leistungen an Arbeitnehmer“) enthält mit den §§ 59 bis 76 im fünften Abschnitt Vorschriften über die „Förderung der Berufsausbildung“ und im sechsten Abschnitt mit den §§ 77 bis 87 Vorschriften über die „Förderung der beruflichen Weiterbildung“. Soweit § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II die Vorschriften des SGB III in den Blick nimmt, werden nur Ausbildungen für anspruchsausschließend erklärt, die nach §§ 60 bis 62 SGB III als „Berufsausbildung“ förderungsfähig sind. Eine berufliche Weiterbildung nach §§ 77 ff. SGB III erklärt § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II dagegen nicht als anspruchsausschließend, was angesichts der genauen Formulierung dieser Vorschrift auch nicht als Zufall gelten kann: Der Gesetzgeber wollte zur Überzeugung des Senats offensichtlich nicht verhindern, dass nach § 77 ff. SGB III mit einem Bildungsgutschein geförderte berufliche Weiterbildungen die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II ausschließen, was auch die einschlägige Kommentarliteratur bestätigt, soweit sie sich mit der Frage ausdrücklich befasst (vgl. Brühl in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Rdnr. 68 zu    § 7 SGB II; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Nov. 2004, Rdnr. 35 zu § 7 SGB II; Peters in Estelmann, SGB II, Stand Februar 2005, Rdnr. 49 zu § 7).

Die Richtigkeit dieser Auslegung von § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bestätigt sich mit Blick auf das „Fördern und Fordern“ überschriebene erste Kapitel des SGB II. Dort heißt es in § 1 Abs. 1 Satz 1: „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können.“ § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 SGB II lautet: „Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird.“ Das SGB II verfolgt damit ausdrücklich das Ziel der Eingliederung in Arbeit. Diesem Ziel trägt die Auslegung von § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II Rechnung, die eine berufliche Weiterbildung im Sinne von § 77 SGB III nicht als Ausschlussgrund für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ansieht.

Ob im Falle der Antragstellerin eine „besondere Härte“ im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu erkennen ist, kann der Senat danach offen lassen.

Ein Anordnungsgrund ist ohne Weiteres zu bejahen, denn wenn die Antragstellerin nicht umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhält, ist zu befürchten, dass sie die Weiterbildung, die ihr gegenwärtig die Perspektive bietet, später ohne Sozialleistungen leben zu können, aufgeben muss. Damit droht unmittelbarer und gravierender Rechtsverlust. Gleichzeitig sieht der Senat als glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt nicht anderweitig bestreiten kann, nachdem sie sich bereits bei Freunden und Verwandten verschuldet hat.

c)       Unabhängig von alledem kommt der Senat auch und gerade im Rahmen der für den Eilrechtsschutz kennzeichnenden Folgenabwägung zu einem für die Antragstellerin günstigen Ergebnis. Die Folgen einer ungerechtfertigten Ablehnung des Eilantrages würden nämlich ungleich schwerer wiegen als die Folgen einer sich im Hauptsacheverfahren nicht bestätigenden Stattgabe.  

 

Für diese Folgenabwägung kann der Senat nach dem Vorbringen der Antragstellerin unterstellen, dass sie ihre auf drei Jahre angelegte Weiterbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin abbrechen müsste, wenn sie begleitend keine Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II erhielte. Denn es liegt auf der Hand, dass ihr Ehemann nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt des Ehepaares aus den ausschließlich ihm gewährten Leistungen nach dem SGB II zu gewährleisten. Dies bedarf keiner weiteren Vertiefung. Gleichzeitig liegt auf der Hand, dass die heute 41-jährige Antragstellerin mit ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin einen Weg beschreitet, der sie schon auf mittlere Sicht unabhängig von staatlichen Sozialleistungen machen wird, denn die Altenpflege ist ein Wirtschaftszweig, der angesichts der Bevölkerungsstatistik auch ohne nähere Erläuterung als Beruf mit Zukunft bezeichnet werden darf. Nicht umsonst wird die Weiterbildung der Antragstellerin daher von der Arbeitsagentur mit einem Bildungsgutschein im Werte von 6.237 Euro gefördert. Es wäre widersinnig, die Antragstellerin zur Aufgabe dieser Weiterbildung zu drängen, wenn diese gleichzeitig einen geeigneten Weg darstellt, später gar nicht mehr auf Fürsorgeleistungen angewiesen zu sein. Dieser Gedanke hat offensichtlich auch das Sozialamt bis Ende des Jahres 2004 veranlasst, der Klägerin ausbildungsbegleitend Sozialhilfe zu gewähren. Das Sozialgericht hat in diesem Zusammenhang verkannt, dass die besonderen Umstände des Falles der Antragstellerin gerade darin liegen, dass ihre Weiterbildung mit einem Bildungsgutschein gefördert wird. Aber auch die Antragsgegnerin hätte erkennen müssen, welch gravierende Folge die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin hat und dass damit der Bildungsgutschein nach dem SGB III geradezu konterkariert wird. Abgesehen von der inhaltlich unzulänglichen Bearbeitung des Begehrens der Antragstellerin sieht der Senat besonders gravierende Verletzungen der Verfahrensrechte durch die Sachbearbeitung der Antragsgegnerin: Zum einen hätte es sich aufdrängen müssen, die Antragstellerin nicht mit der Einstellung jeglicher Leistung zu überraschen, sondern sie zunächst anzuhören (§ 24 Abs. 1 SGB X); zum anderen besteht ein besonders schwerwiegender formeller Mangel des Bescheides vom 22. Dezember 2004 darin, dass er die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II mit keinem Wort begründet. Insgesamt sieht der Senat angesichts der existentiellen Bedeutung der Angelegenheit für die Antragstellerin in der Sachbearbeitung durch die Antragsgegnerin eine Herabwürdigung der Antragstellerin zum bloßen Objekt staatlichen Handelns, also eine Verletzung der Menschenwürde (zur Grundrechtsrelevanz von Verfahrensrechten vgl. Krasney in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2003, Rdnr. 2 zu § 24 SGB X). Dieser Aspekt konnte im Rahmen der Folgenabwägung nicht ohne Bedeutung bleiben und führt zusammen mit den voranstehenden Erwägungen zu der abschließenden Feststellung, dass die Gefahr im Ergebnis ungerechtfertigter Sozialleistungen weniger schwer wiegt als die der Antragstellerin durch den Abbruch ihrer Ausbildung drohenden Nachteile, weshalb wie eingangs zu tenorieren war.

 

d)       Die konkrete Höhe des gegenwärtig zu leistenden Betrages errechnet sich aus 311,- Euro als Regelleistung und 176,68 Euro an Kosten für Unterkunft und Heizung entsprechend der von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 22. Dezember 2004 vorgenommenen Berechnung. Die Leistung ist der Antragstellerin für die Zeit ab März 2005, dem Monat der Beantragung der einstweiligen Anordnung bei Gericht, zu gewähren.

 

 

 

3.       Weil das Rechtsschutzersuchen aus den genannten Gründen Erfolg hatte, war der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren antragsgemäß Prozesskostenhilfe zu gewähren (73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.  

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

Sailer                                                   Braun                                      Hutschenreuther- von Emden