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Innenministerium

"Die Nato ist kein Weltpolizist"

03.04.2009

Innenminister Jörg Schönbohm über die veränderte Afghanistan-Strategie der USA, die Armee im Einsatz und die globale Finanzkrise

Märkische Oderzeitung: Herr Schönbohm, Sie waren Soldat im Kalten Krieg, haben die NVA aufgelöst und die NATO-Osterweiterung mit vorbereitet. Ist die Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation sicherer geworden?

Jörg Schönbohm: Das kann man wohl sehr deutlich sagen. Deutschland ist nicht mehr geteilt wie zur Zeit des Kalten Krieges. Wir haben die Einheit mit der Zustimmung all unserer Nachbarn gewonnen. Nicht auf den Schlachtfeldern wie beim ersten Mal, als Bismarck das Deutsche Reich gründete. Zum Zweiten haben wird durch das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ die Beziehungen zu den ost- und mitteleuropäischen Staaten besonders gut entwickelt und durch die NATO-Osterweiterung Mitteleuropa Stabilität gegeben. Diese Staaten schwanken nicht mehr zwischen Russland und Deutschland, sondern gehören zur westlichen Wertegemeinschaft. Von daher ist die Lage in Europa sicherer geworden. Wir haben eine andere Bedrohung, das ist der Terrorismus.

Jürgen Trittin von den Grünen verglich die NATO mit einem rüstigen 60-jährigen Rentner, der in Altersteilzeit ist und neue Aufgaben sucht. Worin könnten diese denn bestehen?

Trittin betrachte ich nicht als Fachmann für diese Fragen. Die Aufgaben der NATO ergeben sich aus der Lage. Die erste Aufgabe ist, die Stabilität in Europa weiterzuentwickeln und den gesamte Jugoslawien-Konflikt endgültig zu einem Ende zu bringen. Da engagieren sich die EU und die NATO. Der zweite Punkt ist, dass wir das transatlantische Verhältnis weiter festigen. Es hat sich eine Zeit lang schwierig gestaltet. Ich erwarte, dass der NATO-Gipfel in Deutschland und Frankreich Zeichen für eine verstärkte Zusammenarbeit setzt. Zum dritten kann es nicht sein, dass sich die NATO irgendwelche Aufgaben als Weltpolizist sucht. Die Allianz ist kein Weltpolizist und darf das auch nicht werden. In Afghanistan ist die NATO vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedrohung durch El Qaida engagiert.

Die NATO hat seit 1999 zehn neue Mitglieder aufgenommen. Albanien und Kroatien werden diese Woche noch dazukommen. Befürchten Sie nicht, dass sich das Bündnis überdehnen könnte?

Nein, allen NATO-Mitgliedsstaaten ist klar, dass es keine Trittbrettfahrer geben darf. Wer Mitglied der NATO ist, muss sich den gemeinsamen Werten verpflichtet fühlen. Das ist der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat. Darüber hinaus gehören dazu eigene militärische Leistungen, die einen Beitrag zu Stabilität und Bündnissolidarität darstellen. Die NATO ist ein Bündnis von Demokratien mit den gleichen Werten. Darüber hinaus gibt es noch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), in der alle Staaten Europas vom Atlantik bis zum Ural eng zusammenarbeiten.

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski schließt eine NATO-Mitgliedschaft Russlands nicht grundsätzlich aus. Was halten Sie davon?

Ich halte das für nicht realistisch. Dafür reicht schon ein Blick auf die Karte. Russland besitzt ein unvorstellbar große Landmasse und ein eigenes Gewicht. Es gibt Gremien wie den NATO-Russland-Rat, die eine enge Zusammenarbeit ermöglichen. Bei einem Beitritt Russlands in die Allianz würde aus der NATO etwas Ähnliches wie die OSZE werden und wir brauchen OSZE und NATO.

Die Amtszeit von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer läuft Ende Juli aus. Wäre nicht Zeit für einen Osteuropäer auf diesem Posten?

Als Manfred Wörner als erster Deutscher NATO-Generalsekretär wurde, hat nicht die Bundesregierung zuvor gesagt, es wäre an der Zeit, dass endlich ein Deutscher diesen Posten bekommt. Die anderen Bündnispartner haben gesagt, wir wollen Wörner. Im Grunde läuft die NATO nach den Spielregeln eines britischen Klubs ab. Diese sehen vor, dass sich die Regierungen vertraulich verständigen, wem trauen wir diese Aufgabe zu. Irgendwelche geografische Gesichtspunkte spielen dabei keine Rolle. Es gibt nur eine Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und den Europäern. Der NATO-Generalsekretär ist kein Amerikaner, weil die USA stets den militärischen Oberbefehlshaber stellen.

Der Afghanistan-Konflikt entwickelt sich immer mehr zu einer Herausforderung für die NATO. Wie bewerten Sie den Strategiewechsel, den US-Präsident Barack Obama vorgenommen hat?

Der Strategiewechsel zieht auf Punkte ab, die in der deutschen Politik schon immer im Vordergrund standen. Bundeskanzlerin Merkel hat das vernetzte Sicherheit genannt. Die Amerikaner betonten bislang die militärische Komponente zu stark und wollten den zivilen Wiederaufbau vor allem den Afghanen überlassen. Beides gehört zusammen: Sicherheit und Wiederaufbau oder Wiederaufbau durch Sicherheit. In diesem Sinne begrüße ich Obamas Strategiewechsel.

Dieser will zunächst im Kampf gegen Taliban und El Qaida die eigenen Truppen am Hindukusch massiv aufstocken. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Einsatzkriterien für die Bundeswehr gelockert werden und diese auch in den umkämpften Regionen eingesetzt wird?

Die Bundesregierung hat entschieden, dass wir im Norden unsere Aufgabe erfüllen und nicht in den Süden gehen. Das wissen auch die Amerikaner. Deshalb gehe ich davon aus, dass es bei den Einsatzbeschränkungen bleibt.

Die deutschen Streitkräfte werden seit Jahren zu einer „Armee im Einsatz“ umgebaut. Leidet darunter nicht der eigentliche Auftrag, die eigenen Grenzen und das Bündnisgebiet zu verteidigen?

Der Schutz der Grenzen wird jederzeit zuverlässig gewährleistet sein. Die Grundphilosophie der „Armee im Einsatz“ besteht ja darin, gemeinsam mit den Bündnispartnern auf Konflikte so einzuwirken, dass sie nicht nach Europa hineingetragen werden. Aber es besteht die Gefahr, dass mit dem Umbau möglicherweise der Katastrophenschutz vernachlässigt wird. Ich denke dabei an die Hochwasserlagen, die wir in Brandenburg hatten und wo die Bundeswehr in Zukunft vielleicht nicht mehr in ausreichender Weise zur Verfügung steht.

Es gibt inzwischen auch Politiker aus dem konservativen Lager, die daraufhinweisen, dass die zügellosen Exzesse des Kapitalismus gefährlicher für den Bestand der westlichen Demokratien seien als der internationalen Terrorismus. Würden Sie dem zustimmen?

Dem würde ich nicht zustimmen.Es trifft jedoch zu, dass das Vertrauen in die Problemlösungkompetenz der Demokratie in den letzten Monaten nicht gewachsen ist. Das bedeutet kein Scheitern der sozialen Marktwirtschaft, sondern reflektiert die weltweiten Auswüchse auf dem Finanzmarkt. Dort wurde verkauft und gekauft, ohne zum Teil zu wissen, was in den sogenannten Derivaten eigentlich drin ist. Dem muss entschieden ein Riegel vorgeschoben werden. Unseren Wohlstand werden wir behalten, aber die Frage ist, ob wir ihn in dem Umfang und mit der Geschwindigkeit wie in den vergangenen Jahren mehren können. Ich glaube das nicht.

Das Gespräch führte Uwe Krüger.

(Quelle: Märkische Oderzeitung vom 03. April 2009)