Staatskanzlei

Energieversorgung und Energiesicherheit

Ministerpräsident Platzeck am 11.10.2007 in der Aktuellen Stunde des Landtags:

veröffentlicht am 11.10.2007

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte um die Energieversorgung und um die Energiesicherheit hat in den letzten Monaten unser ganzes Land durchdrungen. Das ist ausgesprochen gut so, weil es eine der Zukunftsfragen - wenn nicht sogar die Zukunftsfrage - in diesem Jahrhundert ist. Ein Großteil des Schicksals der Menschheit wird sich daran entscheiden, ob wir sie vernünftig lösen können oder ob wir dazu nicht in der Lage sind. Ich möchte dafür werben, diese Debatte sachlich, vernünftig und in ihrer ganzen Komplexität zu führen. Es macht keinen Sinn, sich einzelne Felder herauszunehmen und zu sagen, wir haben einen tollen Vorschlag, um sich gut zu fühlen, aber 85 andere Aspekte nicht zu berücksichtigen. So einfach ist die Welt leider nicht. Was sind die Fragen, die vor uns stehen? Eine, die für mich eine der wichtigsten ist, ist völlig in den Hintergrund gerückt - das hat etwas mit der Situation zu tun -, nämlich die Frage nach der Versorgungssicherheit. Ich bin mir sehr sicher: Wenn sich hier eine Änderung ergibt, was durch vielfältige Vorgänge passieren kann, ist diese Frage angesichts unserer Importabhängigkeit, die erheblich ist, die Frage Nummer eins. So wie wir gestrickt sind, wenn ich das einmal etwas salopp sagen darf, werden wir, sobald es in einem einzigen Winter in unseren Wohnungen nur etwas kälter wird, eine ganz andere Energiedebatte führen, als wir sie jetzt aus einer relativ sicheren Situation heraus führen. Ich bitte bei allem Aufsetzen auf Initiativen, die ich für ehrenwert halte, , auch diesen Aspekt zu berücksichtigen. Ich bin Demokrat und ich bin froh, dass wir Demokratie haben. Ich finde Volksinitiativen sinnvoll und richtig. Aber jeder, der politische Verantwortung trägt und sich solchen Initiativen anschließt, hat auch die Pflicht, auf die Komplexität der Vorgänge hinzuweisen, und nicht einfach in Populismus mitzumachen. Die Frage der Preise rückt langsam in den Mittelpunkt des Interesses. In den nächsten zehn Jahren wird sie meiner Ansicht nach eine ganz andere Rolle spielen, die wiederum eng mit der Versorgungssicherheit zusammenhängt. Allein dieses Thema würde reichen, hier im Landtag mehrere Stunden intensiv zu diskutieren. Die Verfügbarkeit von Rohstoffen spielt eine große Rolle. Verfügbarkeit heißt nicht nur, für wie viele hundert Jahre wir überhaupt noch etwas auf der Erde haben, sondern: Wie sind sie erlangbar? Wie kommt man an diese Rohstoffe heran? Welche politischen Implikationen sind in den Ländern, in denen sie liegen, zu bedenken? Besteht nicht sogar die Gefahr von Kriegen? Welche Kosten sind damit verbunden, an die Rohstoffe heranzukommen? Wir haben das Problem der Erschließung regenerativer Energiequellen glücklicherweise endlich dort auf der Tagesordnung, wo es hingehört, nämlich ganz oben. Wir haben ein weiteres Thema, das uns in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr intensiv beschäftigt hat - manche, die jetzt an Volksinitiativen teilnehmen, waren nicht immer gerade führend, wenn es um dieses Thema ging -, endlich, wie ich auch hier sage, ganz oben auf der Tagesordnung, nämlich den Klimawandel. Zum Klimawandel wurde gerade in den letzten Tagen hier in Potsdam ganz deutlich herausgearbeitet: Er ist anthropogenen Ursprungs. Er ist kein normaler Weltlauf, sondern Menschen und ihr Handeln haben damit zu tun, dass es zu diesem Klimawandel kommt. Meine Damen und Herren, das sind nur fünf von bestimmt 50 oder 100 Punkten, die Beachtung finden müssen, wenn man sachlich, vernünftig und dem angemessen, was die Menschen von uns erwarten können, über Klimapolitik diskutiert. Wie ist der Stand der Dinge? Natürlich kann man das, was an CO2 emittiert wird, auf das Land Brandenburg hochrechnen. Man könnte es auch, und das wäre eine ganz andere Betrachtungsweise, auf den Landkreis Spree-Neiße hochrechnen. Das wäre ein noch ganz anderer Wert, aber das ist eben nicht sachlich und vernünftig. Sie wissen, dass der Strom in Jänschwalde, der Strom in Schwarze Pumpe nicht nur für Brandenburger Haushalte erzeugt wird, sondern für einen ganz anderen Verbund. Das müssen wir fairerweise erwähnen und nicht immer Prozentzahlen bringen, die überhaupt nicht tragen. Das Umweltbundesamt - nun wahrlich nicht kohleaffin, - geht davon aus: Im Jahr 2050 werden ca. 50 % des gesamten Energieverbrauchs, der in Teilen steigen wird - das darf man bei allen Bemühungen um Energieeffizienz nicht vergessen -, regenerativ, alternativ dargestellt werden können. Jetzt gibt es welche, die das Bundesumweltamt noch überholen - und sagen: Das ist sogar für 60 oder gar 65 % möglich. Übrigens unterstellt auch das UBA, dass dazu jährlich 11 Milliarden Euro an Investitionen nötig sind. Auch das muss in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung hinein. . Wenn wir aber einmal davon ausgehen - und ich würde mich freuen, wenn diese Prognose des Umweltbundesamtes Realität würde, und werde auch alles dafür tun -, dann müssen wir uns, ehe wir in eine Klimadebatte einsteigen, die Frage stellen: Und was machen wir mit den anderen 50 %? Da gibt es nur zwei Quellen, nämlich fossile Energieträger oder Kernkraft. Die ganz Klugen sagen: Nein, wir wollen beides nicht. - So einfach ist aber auch an dieser Stelle das Leben nicht. Wir müssen uns schon entscheiden, meine Damen und Herren, wenn wir zu den Menschen ehrlich sein wollen. Und ich halte Kernkraft für nicht verantwortbar in unserer menschlichen Gesellschaft. Ich halte sie für nicht verantwortbar, weil Endlagerrisiken nicht geklärt sind, ich glaube, auch nie geklärt werden können und weil die Verfügbarkeit auch hier kein einfaches Problem ist. Denn wo kommt der Brennstoff her? Zu 100 % aus dem Ausland. Der Einsatz dieser Energieart würde die Importabhängigkeit noch weiter erhöhen. Und wer meinte, dass dieser Brennstoff endlos verfügbar sei, ist bereits eines Besseren belehrt worden. Auch diese Vorräte sind endlich. Es gibt einen weiteren Grund für meine Haltung, die mich seit zehn Jahren durch mein politisches Leben begleitet. Mir haben jugoslawische Freunde gesagt, dass sie froh seien, dass Pläne zum Bau von Kernkraftwerken in Jugoslawien nicht verwirklicht wurden. Sie wollten nicht die Gefahren erlebt haben, die im Bürgerkrieg von diesen Kernkraftwerken ausgegangen wären. Wer kann voraussagen, was auf dieser Welt in den nächsten hundert Jahren passiert? Wenn in jedem Land Kernkraftwerke stehen, ist diese Welt unsicherer denn je, meine Damen und Herren. Deshalb bin ich gegen die Nutzung der Kernkraft. Wenn wir uns diese Fragen aber stellen und beantworten, dann halte ich es für falsch, wenn wir aus ganz lokaler Sicht, ganz kleinteilig hier in Brandenburg sagen: Nichts wie raus aus der Braunkohle! Dann haben wir ein reines Gewissen, und dann brauchen wir uns um überhaupt nichts mehr auf dieser Welt zu kümmern. Ich sage: Ganz im Gegenteil, wir haben die Pflicht, mit unserem Know-how, mit unseren Kenntnissen und mit dem heimischen Rohstoff, den wir haben, alles dafür zu tun, dass möglichst schneller dieser fossile Brennstoff CO2-arm verstromt werden kann. Das wäre ein guter Beitrag zum Weltschicksal, und darum sollten wir uns kümmern. In einer Zeitung war gestern zu lesen: „Platzeck wiederholt gebetsmühlenartig, dass wir bei erneuerbaren Energien gut sind.“ Ich kann den Redakteur beruhigen, er wird nicht enttäuscht. Ich wiederhole es auch heute, von mir aus gebetsmühlenartig: Ja, dieses Land, das von manchen gern in die Ecke des Klimakillers gestellt wird, ist in den letzten Jahren durch eine, wie ich finde, gute Politik führend bei der Nutzung der Windenergie geworden, wir liegen auf dem ersten Platz in der Biomassenutzung, wir liegen vorn bei der Erforschung der Geothermie, und wir haben bei dem Thema Solartechnik sehr aufgeholt. Wir brauchen also - da bin ich gern der Meinung von Frau Gregor-Ness - unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Deshalb sage ich das hier noch einmal klipp und klar: Wir sind vorne bei erneuerbaren Energien, meine Damen und Herren. Aber - und auch das kann ich leider nur kurz anreißen - ich war gestern zur Eröffnung der Bundesgeschäftsstelle des Naturschutzbundes Deutschland. Dort hat der Präsident Olaf Tschimpke sehr klar auf einen Aspekt hingewiesen und mich dabei auch angeschaut. „Wer da die Hoffnung hat“, sagte er, „die Arten zu retten auf dieser Welt, indem er Biomasse zur Energieerzeugung entnimmt“, dem sei ein Aspekt mit auf den Weg gegeben: Monokulturen, also nur eine Art der Biopflanzen, machen die Arten tot, ehe das Zeug überhaupt im Ofen ist, weil dann keine Artenvielfalt mehr möglich ist. So einfach geht es eben auch auf diesem Feld nicht. Auch hier haben wir es mit Dingen zu tun, deren Komplexität wir noch nicht kennen, weil wir bisher nur Kleinversuche haben. Ich bin der Überzeugung, dass darin die Zukunft liegt, aber es wird nicht so einfach sein, wie wir uns das derzeit vorstellen. Lassen Sie mich noch ein Thema erwähnen, die Windenergie. Wir haben mittlerweile nicht nur eine Initiative, die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, nicht selten unterstützt wurde, gegen die Windenergie. So schwierig ist doch das Leben und nicht anders. . Wir sind auch führend in der Umgestaltung von Tagebaulandschaften. Auch das ist mittlerweile ein Exportartikel. Ich sage das nur vor diesem Hintergrund: Heute hat es nichts mehr mit Verwüstung zu tun, wenn man einen Tagebau aufschließt, sondern es gibt Technologien und Techniken, dies einigermaßen erträglich und verträglich zu gestalten. Ich komme zur Braunkohle, meine Damen und Herren. . Braunkohle ist ein heimischer Energieträger, der sicher und verfügbar ist. Frau Gregor-Ness hat darauf hingewiesen, wo die Ecken und Kanten liegen, und die sind nicht zu verschweigen. Es ist der CO2-ungünstigste Brennstoff derzeit, keine Frage, und er ist leider - bei allen Minimierungsstrategien - nicht so zu fördern, dass es völlig ohne Umsiedlungen geht. . Ich komme gleich noch zu den Umsiedlungen. Aber ich bin nicht bereit, einfach so mit einem Federstrich zu sagen: Dass da direkt und indirekt 12 000 Arbeitsplätze allein in der Brandenburger Lausitz dranhängen, ist mir relativ zweitrangig. Ich bin nicht bereit, einfach mit einem Federstrich darüber hinwegzugehen, dass allein im letzten Jahr für 430 Millionen Euro Aufträge in Brandenburg bei etwa 1 000 Firmen ausgelöst wurden. Ich bin nicht bereit, mit einem Federstrich darüber hinwegzugehen, dass da 32 Millionen Euro Gewerbesteuer gezahlt werden. Das ist für unser Wirtschaftsgefüge in diesem Jahr und in den nächsten Jahren essenziell, und das muss in der Debatte wenigstens auch Erwähnung finden. Ich komme zu dem Nachteil der Umsiedlung. Dies ist der gravierendste Eingriff, der mit der Nutzung der Braunkohle verbunden ist. Ich stehe auch nicht an, zu sagen, dieser Eingriff sei völlig ausgleichbar. Wir können einem Menschen, den wir aus gesellschaftlichen Interessen heraus seine engere Heimat nehmen müssen und ihm woanders eine neue Heimat herrichten, nicht das Gefühl ersetzen, das sich mit Heimat, mit dem eigenen Kirchturm, dem eigenen Horizont, dem eigenen Dorfgefüge, dem eigenen Sozialgefüge über viele Jahrzehnte aufgebaut hat. Das ist nicht ersetzbar. Wir können nur die Folgen mindern, mildern und alles dafür tun, dass die Umsiedlung einigermaßen erträglich wird. Dass das aber möglich ist, zeigt die Realität des Lebens. Wir hatten den Fall Horno. Ich gehöre wahrscheinlich zu denen, die mit am intensivsten von allen Beteiligten mit diesem Fall zu tun hatten. Aber wir hatten auch andere Umsiedlungsfälle: Heidemühl, Kausche Diepensee. Gehen Sie, wenn Sie über Umsiedlung reden, auch zu diesen Menschen. Da ist die Umsiedlung anders gelaufen, nämlich einvernehmlich, friedlich und durchaus zur Zufriedenheit von vielen derer, die umgesiedelt wurden, allerdings nicht von allen. So etwas ist in einer Gesellschaft nicht zu erreichen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass Vattenfall seine Zusagen wahrmacht, hier wirklich eine sozialverträgliche Umsiedlung zu organisieren, bei der niemand in finanzielle Schwierigkeiten kommt und der Spruch gilt, aus Betroffenen Beteiligte zu machen, wo Härten ausgeglichen werden und wo man mit den Menschen redet und alles Menschenmögliche tut. Das ist der einzig denkbare Weg, wie man Umsiedlung heute umsetzen kann. Ich komme zu einem weiteren Punkt, dem Kohlendioxid. Ich verstehe manche, die die Volksinitiative unterstützen, in ihrer Argumentation nicht. Und ich habe viele Debatten in den letzten Tagen geführt. Wir haben klipp und klar dem betreibenden Konzern aufgegeben: Es wird keine Kraftwerksneubauten in diesem Lande mehr geben, wenn die CO2-Abscheidetechnik nicht funktioniert. Es wird keine mehr geben! Da frage ich mich: Worüber reden wir eigentlich noch? Wir sind uns einig, es wird keine geben. Damit ist doch die Hauptfrage geklärt. Wenn die Technik nicht gelingt, dann werden wir uns etwas anderes überlegen müssen. Wir werden große Sorgen damit haben. Aber wir haben eine ganz klare Prämisse an dieser Stelle gesetzt. Vattenfall hat dazu einen klaren Fahrplan vorgelegt. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass es Prof. Schellnhuber und kein anderer war, der gesagt hat: „Dieser Weg, wenn er denn so gegangen wird, ist ein verantwortungsvoller Weg.“ Das möchte ich für alle in diesem Hause wiederholt haben. Wir sind als Bundesland Brandenburg derzeit führend in der Forschung zur CO2-Abscheidetechnik. Dies kann eine weltweit bedeutende Technik werden. Denn keinen Menschen - und das möchte ich den Menschen sagen, die sich an der Volksinitiative beteiligen - juckt es irgendwo auf dieser Welt, wenn wir hier in Brandenburg aussteigen. Woanders wird der Hahn weiter aufgedreht und weiter CO2 in die Luft geblasen. Nur haben wir weniger Wertschöpfung. Wir haben nicht mehr die Möglichkeit, in die Forschung der CO2-Abscheidetechnik zu investieren, und wir haben nicht die Möglichkeit, was uns auch Prof. Schellnhuber empfiehlt, Innovationslabor für moderne Energietechnik zu werden. Alle diese Möglichkeiten würden wir uns abschneiden. Deshalb stehe ich gegen die Intention dieser Volksinitiative und meine, der Weg dieser Landesregierung ist ein verantwortbarer, ein guter Weg in die Energiezukunft. - Ich bedanke mich.